florilegium

Florilegien – so wurden in Klosterbibliotheken und in den Wunderkammern der Renaissance botanische Lehrbücher genannt. Naturforscher und Künstler inventarisierten und kategorisierten darin die Welten von Blumen, Blüten, Blättern, Kräutern, Stauden, Büschen und Bäumen. Diese wurden dabei in möglichst exakter Darstellung als Aquarelle, Kupferstiche, später auch als Lithographien oder sogenannte „Naturselbstdrucke“ wiedergegeben. Eines der berühmtesten Pflanzenbücher ist das Florilegium novum, in dem der Basler Matthäus Merian 1641 einen 80-teiligen Blumenatlas seines Vaters von 1612 erweiterte. Oder das Neue Blumenbuch (1675) seiner Tochter Maria Sibylla.
Die Münchner Fotografin Sabine Berthold hat die alte Darreichungsform der vielen einzelnen Blätter, die zusammen ein Album ergeben, in die Sprache unserer Zeit übersetzt. Der persönliche Fund, die unverwechselbare Trouvaille an einem bestimmten Ort, ist dabei ihr Anker und Ausgangspunkt für eine Serie von digitalen Prints. Die individuellen, im Studio erzeugten Abbilder der auf Spaziergängen und Wanderungen angetroffenen, zuweilen auch speziell gesuchten Pflanzen entstehen in diesem Sinn als Ergebnisse von verschiedenen digitalen Metamorphosen, die die natürliche Farbe verschleiern. So verstärkt und verselbstständigt sich der formale Ausdruck. Die Motive gewinnen eine andere Kraft, die den Betrachter abwechselnd reizt und verunsichert. In der Regel wird jede Kräuterart oder Frucht genau einmal porträtiert. In seltenen Fällen interessiert ein weiteres Detail – wie ein verkrauteter Auswuchs, eine Nahaufnahme des Stängels, eine Variation der Dolde, Rispe oder eines anderen Blütenstands. Die Pflanze wirkt so durch ihre Einzigartigkeit, aber auch durch ihre Zugehörigkeit zu einer Spezies oder Subspezies der Flora. Viele der Fundstücke sind in der Alpenregion oder in den südlichen und nördlichen Voralpen beheimatet.
Andere stammen von Urlaubsreisen oder wurden von Freunden als kleine Geschenke überbracht.Ob es sich um Pflanzen aus dem Kaufhaus, dem Garten oder der natürlichen Vegetation, aus der unmittelbaren oder einer fernen Umgebung, aus dem Kühlschrank oder aus der Obstschale handelt, spielt für die Eignung als Fotomotiv keine Rolle. Nur der individuelle Ausdruck. Die Bilderserie ist ein Spiel mit dem aus der analogen Fotografie bekannten Positiv- Negativ-Effekt. Dabei lassen die abstrahierten Fotoprints mit dem weißen Hintergrund das jeweilige Motiv formal deutlicher zu Tage treten, verdichten es auf seine Essenz hin. Oft verstärken sich die Kontraste. Unter anderem durch die Ablösung von der Umgebung ergibt sich manchmal eine flächige, fast malerische Wirkung, so als wären Aquarellfarben im Spiel.
Vor dem dunklen Hintergrund verwandeln sich die porträtierten Pflanzen hingegen in Nachtschatten-gewächse, in vermeintliche Blumen des Bösen. Eine umgekehrte Scherenschnitt-Optik kommt zum Tragen, vor allem bei den minimalistischeren Kompositionen. Statt an florale und vegetative Vorbilder denkt man plötzlich an Planeten oder an Stoffgespinste. Die Materialität, die in ihrer Anmutung bei den hellen Bildern stets pflanzlich bleibt, verändert sich in den dunklen.
Einige sehen gefährlich aus.


(Alexander Hosch für Magazin Alps)